Weitere Kolumnen von Dr. Dietrich Mack
„O, wie schön, Soldat zu sein“
Wenn Raketen und Drohnen bedrohlicher werden und der Wehrdienst, der viele Menschen in Gewissensnöte treibt, näher rückt, muss man daran erinnern, dass Friedenszeiten die Ausnahme waren. Von 3600 Jahren dokumentierter Geschichtsschreibung weltweit seien nur ein Zehntel Friedenszeiten gewesen, schreiben englische Forscher. Irgendwo in der Welt habe es immer gekracht. In Deutschland gelten die Jahre ab 1945 als die längste Friedenszeit überhaupt. Aber Krieg sei eher die Normalität, sogar ein notwendiges Korrektiv. Da möchten wir entwöhnten und verwöhnten Deutschen am liebsten den Kopf in den Sand stecken oder Trost bei den schönen Künsten suchen, die im Gegensatz zum Ernst des Lebens heiter sein sollen. Zumindest schrieb das Schiller. Allerdings steht das viel zitierte Wort im Prolog zu dem monumentalen Kriegsspektakel „Wallenstein". Vorsicht ist also geboten.
In der Weltliteratur, Theater-, Film- und Kunstgeschichte spielt das Kriegshandwerk seit je eine große Rolle - von Homers „Ilias“ bis zu Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“, von den „Persern“ des Aischylos bis zu Brechts „Mutter Courage“. Bibliotheken, Museen, Archive sind voll mit diesen Helden- und Elendsgeschichten. „Süß und ehrenhaft ist es, fürs Vaterland zu sterben“ schreibt Horaz und 2000 Jahre später meint Ernst Jünger immer noch, der Krieg sei ein göttliches Erlebnis. Der brave Soldat Schwejk dagegen meldet sich gehorsamst zum Dienst: „Ich bin so blöd“ und Picasso malt sein Bild „Guernica“, auf dem alle Kreatur durch Bomben zerfetzt ist.
Besonders voll sind die Waffenarsenale in der Musik und vor allem in der Oper. Ohne Märsche und Soldatenlieder zieht man nicht zu Felde, ohne „Ich hatte einen Kameraden“ gibt es keinen Zapfenstreich. Mozart liebte die türkische Militärmusik der Janitscharen, obwohl die Türkenkriege keine Kostümfeste waren. In der „Entführung aus dem Serail“ untermalt diese Musik mit Trommeln, Trompeten und viel Blech Selims Pracht, aber auch Osmins Mordlust. Beim schwarzen , diskriminierten Monostasos in der „Zauberflöte“ hört man sie wieder und in „Così fan tutte“ singt der Chor in voller Unschuld, aber mit ironischem Unterton: „O, wie schön, Soldat zu sein… Wenn Trompet und Pfeife schallen, Wenn die Donnerbüchsen knallen, Kämpft er froh für Ehr` und Vaterland, An den Sieg denkt er allein.“
So spielerisch geht es in „Fidelio“, der „Stummen von Portici“ „Wilhelm Tell“ und vielen anderen Opern nicht zu. Dort wird die Freiheit mit Waffen errungen. Trompetensignale statt Panflöte, „Aux armes“, zu den Waffen ruft das Volk. Auch Verdi setzt musikalisch wie szenisch in vielen Opern Militär ein. Besonders berühmt sind der Gefangenenchor in „Nabucco“ und der prunkende Triumphmarsch in „Aida“. In den Liedern, Chören und Märschen fast aller russischen Opern (Schostakowitsch ausgenommen) weht ein heroisch-patriotischer Geist. In „Pique Dame“ spielen schon die Kinder Soldaten und singen: „Wir stehn bereit zu kämpfen, um die Feinde (Russlands) ohne Zögern gefangen zu nehmen! Hurra! Hurra! Hurra!“. Das ist bitterer Ernst und schmerzt heute besonders.
Nur einer fehlt in diesem dicken Opernführer mit den vielen Waffen, Uniformen, Helden, Leichen und Hurras: Richard Wagner. Wagner liebte zwar Militärkapellen, trieb sich auf den Dresdner Barrikaden rum und komponierte lustlos drei Huldigungsmärsche, aber in seinen Opern gibt er sich zivil, sieht man von „Für deutschen Land das deutsche Schwert“ im „Lohengrin“ ab. In den „Meistersingern“ wird der Ritter von seinem hohen Ross geholt, „Der Ring“ ist ein pures Untergangsdrama und „Parsifal“ wird nicht nur von Vegetariern, sondern auch Pazifisten vereinnahmt. Aber man kann um des lieben Friedens willen nicht immer „Parsifal“ hören. Das würde möglicherweise zu einem häuslichen Krieg führen.
Mit diesem Text begann alles im Jahr 2015
Unausweichlich: der Jahreswechsel kommt
In vielen Familien haben Silvester und Neujahr feste Rituale. Diese Familien sind glücklich. Ich beneide sie. Bei uns beginnt die Diskussion jedes Jahr von neuem, wenn die Supermärkte die Osterhasen in Weihnachtsmänner umgeschmolzen haben, also im Spätsommer. Sie verschärft sich von Tag zu Tag. Meine Frau, ein Zwilling, ist mit Harmonie und Unentschlossenheit gesegnet. Um mich zu
besänftigen, sagte sie schließlich: „Wien, das wird dir gefallen.“ Viele Jahre habe ich dort studiert, gearbeitet und vor allem gelebt. Meine seligen Erinnerungen kennt sie auswendig, wie das in guten Ehen üblich ist. Wohnen, wo Pavarotti Pasta kochte, Tafelspitz bei Plachutta, Stöbern im Dorotheum, Häppchen mit Pfiff bei Trzesniewsky, Hawelka gegenüber, Stadtheuriger, Krönungsmesse in der Hofburg. Perfekt – dachte ich. Meine Frau nickte ergeben:„Aber nur, wenn wir ins Neujahrskonzert gehen.“ Ich hielt die Luft an. Sie wollte in den Musikvereinssaal, in diesen goldenen Tempel der klassischen Musik. Ein normales Abonnement für die Wiener Philharmoniker ist als Erbschaft begehrter als ein prall gefülltes Nummernkonto. Als Studenten mussten wir auf viele Heurige verzichten und viele Schillinge für Trinkgelder locker machen, um dort Konzerte mit neuer Musik zu hören, also alles nach Wagner, Strauss mal ausgenommen. Ins Neujahrskonzert kam ich nie. Die Eltern meines Freundes aus Texas hatten es ein Mal geschafft. Sie wohnten im Sacher, erwarben sich das Wohlwollen des Chefportiers, der ihnen mit seinen gekreuzten goldenen Schlüsseln das Neujahrskonzert aufschloss. Große Geldscheine umwölkten meine Stirn. Als ich zum Telefon griff, riet mir meine Frau zum Internet, das sei nicht so vornehm, aber sicher preiswerter. Ich fand ein Ticketcenter, das Karten in der besten Kategorie anbot. Meine Lesebrille beschlug sich. Meine Frau hörte mein Stöhnen: „Such bei ebay“. Neue Hoffnung, neue Eingabe. Viele Neujahrskonzerte auf CD, MP3, DVD, Bilder, Bücher und, irgendwo versteckt, 2 Karten gegen Höchstgebot, 5400 (in Worten fünftausendvierhundert) Euro, nicht Schilling. „Immerhin“, sagte meine Frau, „billiger als beim Ticketcenter“.
Dort sollten zwei Karten 7800 Euro kosten, beste Kategorie. Meine Frau gab nicht auf: „Stehplatz, das macht uns jünger.“ Ich schaute auf den Bildschirm: Ärmer! Zwei Karten 1500 Euro. Ein letztes Aufbäumen: „Erinnere dich an die geteilte Walküre? Jeder eine Halbzeit auf Stehplatz.“ Ich rechnete: das wären läppische 375 Euro für jeden, Stehplatz, eine Halbzeit. Wir schauten uns an,
lachten und beschlossen, Jahresabonnements für die Opern in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und viele schöne Konzertreihen zu kaufen. Auch das Festspielhaus in Baden-Baden werden wir uns leisten. Wir hatten ja viel gespart. Aber nach Wien reisen wir trotzdem. Ich will mich mit dem Mann mit den goldenen Schlüsseln unterhalten, vertraulich. Neujahr bleibt unausweichlich.