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Kolumne von Dr. Dietrich Mack


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Eine Pilgerreise nach Rom
An die Macht kommt man durch Geburt, Gewalt oder Wahlen. Wahlen sind in den westlichen Demokratien eine feine Sache, weil wir in der einen oder anderen Form daran aktiv mitwirken, soweit Alter und Nationalität stimmen und das Strafregister nicht überlastet ist. Frauen haben um dieses Wahlrecht lange gekämpft, 1919 erhielten sie es in Deutschland, in der Schweiz erst vor kurzem: 1971. Der Vatikan hat eigene Regeln, doch davon später. Wenn die Wahl entschieden ist, hat der Mohr seine Schuldigkeit getan und kann gehen, zufrieden oder nicht. Denn die Macht haben die Gewählten für einige Jahre oder bis zur Rente oder gar lebenslang.
Doch welche Bedeutung haben Wahlen für ein Land? Sie können zeigen, dass unsere Demokratie funktioniert, wie tolerant wir sind, wie respektvoll Sieger mit Besiegten umgehen. Es eine politische, ethische und kulturelle Botschaft, die das Ansehen und im besten Fall die Sympathie für ein Land mehren können. Schon bei der Wahl eines Gemeinderates, der Ernennung eines Intendanten, der Berufung eines Universitätsprofessors (da helfen Findungskommissionen) kann man das erleben und erst recht bei der Wahl eines Präsidenten, Bundeskanzlers oder Papstes.
Bei der amerikanischen Präsidentenwahl war das Ergebnis  verheerend, die Inauguration peinlich. Wehmütig dachten wir an Amanda Gorman, die uns mit „The hill we climb“ vergeblich Hoffnung gemacht hatte. Jetzt hat der Sieger das Land tief gespalten und die Welt verunsichert. Anhaltend. Er, dem alles erlaubt ist, dem alles verziehen wird, der seine Gegner demütigt, sie als Feinde verfolgt, sich über das Recht erhebt, wurde von seinen Anhängern hysterisch gefeiert. Er regiert nicht von Volkes oder Gottes Gnaden, sondern aus eigener Machtvollkommenheit. L’état c’est moi. Der Staat bin ich, sprach der Sonnenkönig aus Florida. Die Botschaft: Politik ist Showbusiness, dem Werte wie Respekt, Toleranz, Wahrheit geopfert werden.
Die Wahl des deutschen Bundeskanzlers verläuft üblicherweise ordentlich, ruhig, langweilig. Die Scharmützel des Wahlkampfes sind vorbei. Wahlgang, Glückwünsche, schwarze Limousinen hin und her, Ernennungsurkunde, Eid – das ist alles. In diesem Jahr sorgten 18 Abweichler für Aufregung. Die Wahl scheiterte zunächst.  Schockstarre,  Empörung über die Verräter, Jubel von rechts, dann Hektik. Viele tiefsinnige Kommentare. Ein Fressen für die Medien. Doch die politische Katastrophe dauerte nur ein paar Stunden, dann ging es routiniert weiter. Die Botschaft: Die Demokratie funktioniert, kleine Unfälle werden schnell repariert, Emotionen stören nur (außer beim Großen Zapfenstreich für den Altkanzler, der mit Bach, Aretha Franklin und den Beatles guten Musikgeschmack bewies).
Der Vatikan machte alles besser, verband Würde, Glanz,  Begeisterung, Emotionen und sogar Heiterkeit zu einem Gesamtkunstwerk. Das englische Königshaus hätte es nicht stilvoller machen können. Nicht die Abgeordneten des Volkes, sondern 133 Kardinäle, die Abgeordneten Gottes (katholisch, männlich, nicht älter als 80), wählten den Papst aus ihrer Mitte nach einem uralten Ritual, der Askese und Pomp verbindet. Im Konklave „waltete der Heilige Geist“, sagte einer von ihnen. Nach vier Wahlgängen gab es die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Weißer Rauch stieg auf: Habemus Papam. Wir haben den neuen Papst. Hunderttausende fieberten und beteten auf dem Petersplatz, Millionen am Fernseher. So viel Begeisterung und Zustimmung gab es bei keiner anderen Wahl. Die Botschaft: So muss man eine Wahl sein, um Ansehen und Sympathie zu mehren. Nun pilgern alle nach Rom um zu lernen, wie man Wahlen zum Ruhm eines Landes gestaltet.


 

Mit diesem Text begann alles im Jahr 2015...

Unausweichlich: der Jahreswechsel kommt

In vielen Familien haben Silvester und Neujahr feste Rituale. Diese Familien sind glücklich. Ich beneide sie. Bei uns beginnt die Diskussion jedes Jahr von neuem, wenn die Supermärkte die Osterhasen in Weihnachtsmänner umgeschmolzen haben, also im Spätsommer. Sie verschärft sich von Tag zu Tag. Meine Frau, ein Zwilling, ist mit Harmonie und Unentschlossenheit gesegnet. Um mich zu
besänftigen, sagte sie schließlich: „Wien, das wird dir gefallen.“ Viele Jahre habe ich dort studiert, gearbeitet und vor allem gelebt. Meine seligen Erinnerungen kennt sie auswendig, wie das in guten Ehen üblich ist. Wohnen, wo Pavarotti Pasta kochte, Tafelspitz bei Plachutta, Stöbern im Dorotheum, Häppchen mit Pfiff bei Trzesniewsky, Hawelka gegenüber, Stadtheuriger, Krönungsmesse in der Hofburg. Perfekt – dachte ich. Meine Frau nickte ergeben:„Aber nur, wenn wir ins Neujahrskonzert gehen.“ Ich hielt die Luft an. Sie wollte in den Musikvereinssaal, in diesen goldenen Tempel der klassischen Musik. Ein normales Abonnement für die Wiener Philharmoniker ist als Erbschaft begehrter als ein prall gefülltes Nummernkonto. Als Studenten mussten wir auf viele Heurige verzichten und viele Schillinge für Trinkgelder locker machen, um dort Konzerte mit neuer Musik zu hören, also alles nach Wagner, Strauss mal ausgenommen. Ins Neujahrskonzert kam ich nie. Die Eltern meines Freundes aus Texas hatten es ein Mal geschafft. Sie wohnten im Sacher, erwarben sich das Wohlwollen des Chefportiers, der ihnen mit seinen gekreuzten goldenen Schlüsseln das Neujahrskonzert aufschloss. Große Geldscheine umwölkten meine Stirn. Als ich zum Telefon griff, riet mir meine Frau zum Internet, das sei nicht so vornehm, aber sicher preiswerter. Ich fand ein Ticketcenter, das Karten in der besten Kategorie anbot. Meine Lesebrille beschlug sich. Meine Frau hörte mein Stöhnen: „Such bei ebay“. Neue Hoffnung, neue Eingabe. Viele Neujahrskonzerte auf CD, MP3, DVD, Bilder, Bücher und, irgendwo versteckt, 2 Karten gegen Höchstgebot, 5400 (in Worten fünftausendvierhundert) Euro, nicht Schilling. „Immerhin“, sagte meine Frau, „billiger als beim Ticketcenter“.
Dort sollten zwei Karten 7800 Euro kosten, beste Kategorie. Meine Frau gab nicht auf: „Stehplatz, das macht uns jünger.“ Ich schaute auf den Bildschirm: Ärmer! Zwei Karten 1500 Euro. Ein letztes Aufbäumen: „Erinnere dich an die geteilte Walküre? Jeder eine Halbzeit auf Stehplatz.“ Ich rechnete: das wären läppische 375 Euro für jeden, Stehplatz, eine Halbzeit. Wir schauten uns an,
lachten und beschlossen, Jahresabonnements für die Opern in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und viele schöne Konzertreihen zu kaufen. Auch das Festspielhaus in Baden-Baden werden wir uns leisten. Wir hatten ja viel gespart. Aber nach Wien reisen wir trotzdem. Ich will mich mit dem Mann mit den goldenen Schlüsseln unterhalten, vertraulich. Neujahr bleibt unausweichlich.